Reduktion der Wildbestände unter wissenschaftlich belegte Bewirtschaftungsgrenzen, Bewegungsjagden und Verlängerung der Jagdzeiten werden als einzig wirksame Mittel gegen Wildschäden gepriesen. Ein Revier in der Schorfheide zeigt: Es geht auch anders. Trotz hoher, viele Forstleute würden wohl sagen, drastisch überhöhter Wildbestände, gibt es dort kaum Wildschaden. Warum? Weil dem Wild alternative Äsung zur Verfügung gestellt wird. Man muss das nicht als beispielhaft auffassen – eine Anregung, die landauf, landab als alternativlos und angeblich so ökologisch gepredigten Bewirtschaftungs- und Bejagungskonzepte zu überdenken, ist es allemal.
“Es gibt in meinem Revier keine Drückjagden, keinen Forstschutz und trotzdem nur geringe Wildschäden“, behauptet Jürgen Sartori und ergötzt sich am Ausdruck von Staunen und Zweifel, die diese Worte zuverlässig auf die Mienen seiner Gesprächspartner zaubern. Und setzt noch eins drauf: Dabei gebe es einen ordentlichen Bestand an Rot-, Dam-, Muffel- und Schwarzwild. Alles Wild sei tagaktiv – auch das Schwarzwild. „Das glauben Sie nicht? Dann schauen Sie es sich doch an.“
Und so beginnen wir die Revierrundfahrt an dem nach historischen Vorbildern auf dem Wirtschaftshof erbauten Forsthaus, das den Mittelpunkt des Reviers in der Schorfheide bildet. Der aus Rheinland-Pfalz stammende Unternehmer hat die 1800 Hektar große Eigenjagd im Jahr 2000 gekauft. Sartori, seine zwei Berufsjäger, der Berichterstatter und einige Jagdhunde quetschen sich in das betagte G-Modell, das beherzt den ersten Waldweg unter die grobstolligen Reifen nimmt. Äste schlagen gegen die Scheibe und kratzen kreischend an der geschundenen Karosserie entlang. „Wir asten nicht auf“, erklärt Sartori, „Das ist das Einzige, was gegen Moto-Crosser hilft.“
Der Blick aus dem Fenster zeigt Kiefernbestände, die sich mit lichtem Buchenmischwald abwechseln. „Die Buchenbestände sind zu Kaiser Wilhelms und Görings Zeiten angewachsen“, berichtet deren Eigentümer, „Also zu Zeiten sehr hoher Wildbestände.“
Der Wald gehört dem Wild
Warum funktionierte das damals und hier angeblich immer noch, während der Wald andernorts nur noch durch radikales Zusammenschießen des Wilds zu retten sein soll? „Das geht überall“, meint Sartori, „Nur wenn die Förster bequem sind, geht es nicht.“ Was das heißen soll, wird bald deutlich werden. Der Waldboden unter den Buchen ist bedeckt mit Grünzeug: Heidelbeere, Drahtschmiele und diverse Kräuter, Naturverjüngung von Birke, Pappel, Aspe, Buche und Eiche sprießen hier.
„Die Devise ist: Der Wald gehört dem Wild, der Mensch ist nur geduldet“, erläutert Sartori. „Und der Baum wird nur gefällt, wenn es dem Hirsch gefällt.“ So bleibenetwa nach dem Holzeinschlag im Winter die Stämme liegen. Die Spiegelrinde liefert wertvolle Äsung – das verhindert Schälschäden. Erster Halt: Ein Wildacker. Die Wildäcker sind die einzigen Flächen, die zeitweise Zaunschutz benötigen, damit etwas hochkommt. Ein kleines Weisergatter neben dem Wildacker, das mit der selben Saatgutmischung bestellt wurde, verdeutlicht, wie gut das Wild die Äsungsflächen annimmt: Im Gatter üppiges, kniehohes Grün, der Wildacker gleicht Englischem Rasen – Golfplatzniveau.
Wildäcker für arme Böden
Verteilt auf 40 Einzelflächen haben Sartori und seine Mannen mit Hilfe eines landwirtschaftlichen Fuhrparks 31 Hektar gepflegte Wildäsungsflächen angelegt. Rückegassen, Holzlagerplätze oder auch Seitenstreifen neben Waldwegen sind dazu unter anderem bestellt worden. „Wir haben viele Versuche gemacht, um die ideale Wildackermischung für die armen Böden hier zu finden“, berichtet Sartori. Mais, Topinambur, Waldstaudenroggen und Triticale gedeihen auf dem märkischen Sand nicht so gut. „Wir mussten da umlernen: In meinem alten Revier bei Sponheim in Rheinland-Pfalz hat der Topinambur zehn Jahre lang gehalten – hier kam er nicht mal im ersten Jahr hoch.“ Besonders bewährt haben sich auf dem Sandboden Zuckerhirse und Markstammkohl.
Die angesehenen Wildbiologen Prof. Dr. Dr. Klaus Pohlmeyer und Dr. Gunther Sodeikat haben dem Eigenjagdbesitzer nach ausgiebiger Revierbesichtigung in einer schriftlichen Stellungnahme (die der Red. vorliegt) bestätigt: Dass die Wildäsungsflächen einer ordnungsgemäßen Forstwirtschaft dienen, und zwar nicht nur durch die Verbesserung der Äsungsbedingungen, sondern weil sie durch die räumliche Verteilung im Revier „zu einer gleichmäßigeren Dispersion des Wildes in Raum und Zeit“ führen. In Notzeiten könne so auf die „ansonsten erforderliche Wildfütterung“ unter Umständen verzichtet werden. Dass der Anteil der Äsungsflächen ein bis zwei Prozent der Holzbodenfläche beträgt und damit den von dem Wildbiologen und Jagdwissenschaftler Michael Petrak (2000) formulierten Richtlinien entspricht.
Wildäsungsflächen nützen aufgrund der „vielseitigen Pflanzenmischung wie zum Beispiel wildwachsenden Blütenpflanzen“ nicht nur dem Wild, sondern einer Vielzahl weiterer Tierarten, etwa „selten gewordenen Insektenarten.“ Damit dienen Wildäcker „auch den Zielen des Naturschutzes im Sinne der Förderung und Erhöhung der Biodiversität“. Durch die Steuerung der Wildbewegungen schaffen Wildäcker die „Voraussetzung für eine relativ störungsarme Durchführung der notwendigen Abschüsse des Schalenwilds“ und ermöglichen so die „ordnungsgemäße Jagdausübung“.
Die Wildbiologen bescheinigen den Wildäckern hohen ökologischen Nutzwert: Die „langen schmalen Flächen“ und „buchtenreichen Waldschneisen“ ermöglichem dem Wild aufgrund der schnell erreichbaren Deckung, den natürlichen Äsungsrhythmus einzuhalten: Dies sei nicht hoch genug einzuschätzen. Die Äsungsflächen wirkten sich forst- und jagdwirtschaftlicher, aber auch „naturschutzfachlicher und wildbiologischer Sicht“ positiv aus. „Sehen Sie, ist total alternativ, was ich hier mache“, grinst Sartori.
Doch mit den Wildäckern ist es nicht getan. Das Revier ist durch den Bau von 60 Hochsitzen – alle nach dem selben Baumuster und benannt nach örtlichen Eigenheiten oder Jagderlebnissen – jagdlich erschlossen.
Hinzu kommen 34 Salzlecken und elf Kirrungen: „Da reicht aber ein Zehn-Kilo-Eimer, um alle Kirrungen zu beschicken, das sind keine Fütterungen.“ Desweiteren 13 Malbäume und sechs Ablenkfütterungen. Sartoris Leute haben hunderte von Apfelbäumen alter Sorten gepflanzt, Feuchtbiotope angelegt und Wiesen wiedervernässt. Außerdem ließ er weit mehr als 100 Hektar Heideflächen freistellen: „Die großen Flächen machen das Wild sichtbar. Sie glauben gar nicht, wie das Rotwild die offenen Flächen annimmt.“
Die Birken, die auf der Heide zu wuchern begannen, wurden gefällt und das Häckselgut aufgefangen, da keine Heide keimt, wo sich Humus bildet. Auch die Entbuschung und Mahd der Havelwiesen – wenn sie gerade befahrbar sind – übernimmt Sartori: Ohne Staatszuschüsse und ohne Fördermittel. Trotzdem, so sagt er, erziele der Forstbetrieb „eine schwarze Null.“ Das reicht (ihm).
Ökologisch wertvoll
Dass diese Naturschutzbemühungen auch nichtjagdbaren Arten zugute kommen, ist unübersehbar. In gebührendem Abstand passieren wir einen Fischadlerhorst, der Altvogel sitzt auf der Brut.
Baumbrütende Wanderfalken gibt es hier, den Schwarzstorch, Schellenten, Scharen von Kiebitzen. Der Biber„macht durch Ringeln mehr Schaden als Rot- und Rehwild zusammen.“ Typische Weiservögel wie Neuntöter, Raubwürger, Wiedehopf und Feldlerche zeugen von hoher Biotopqualität. Doch wie sieht es nun mit dem Wildschaden aus? Der auf der Revierfahrt gewonnene, freilich subjektive Eindruck ist, dass der Wildbestand eher höher ist als andernorts, der Wildschaden jedoch nicht. Der Waldboden ist nicht kahl geäst, überall wachsen junge Buchen und Eichen ohne Zaun heran.
Hier und da haben wir ein paar verbissene Pflänzchen entdeckt. Warum auch nicht – Wald ohne Verbiss ist unnatürlich. Doch es kommt mehr als genug hoch, ohne durch gierige Äser zurechtgestutzt zu werden. Wo alte Buchen umgestürzt sind, drängt eine Vielzahl von Jungbäumen dem Licht entgegen.
Nach Sartoris Einschätzung halten sich die Wildschäden „auf absolut unterstem Niveau.“Wir fahren weiter. Ein Rottier wechselt über den Weg. Mit einem Ruck bringt Sartori den Geländewagen zu stehen. Er zeigt auf die unterschiedlichen Bestände, die den Weg säumen: „Das links haben Förster gemacht, das rechts die Natur – was gefällt Ihnen besser?“
Es ist eine rhetorische Frage: Die finstere Nadelholzmonokultur rechts – bekanntlich lange Zeit der letzte Schrei forstlicher Praxis – löst wohl bei den wenigsten Begeisterungsstürme aus. „Sehen Sie, das ist es, was mir an den Forstleuten so missfällt: Jede Förstergeneration meint, im alleinigen Besitz der letzten Wahrheit zu sein – nur dass sich diese Wahrheit von Generation zu Generation ins komplette Gegenteil wandelt.“ Wir passieren eine verlassene Russenkaserne, die gerade zurückgebaut wird. Zwischen den verfallenen Gebäuden äst ein Rudel Damwild.
Der Forstweg schlängelt sich an einem wasserführendenGraben entlang. Auf dem anderen Ufer, kühlt sich eine Bache die Schwarte im Uferschlamm, Frischlinge wuseln um sie herum. Auf einer Waldwiese äst ein Muffelschaf mit Lamm.
Die Behauptung, das Wild sei tagaktiv, trifft offensichtlich zu. Verantwortlich dafür ist die hier gepflegte Jagdstrategie: Gejagt wird nur bei Tag, ohne Drückjagd, ohne Mondscheinjagd. „Der Ansitz bei Vollmond und Schnee auf den Fuchs ist die ganz große Ausnahme“, sagt Sartori, „Es ist hier noch kein Stück Schalenwild nach Büchsenlicht erlegt worden.“ Die vorherrschende Jagdart ist der Ansitz. Lediglich in der Brunft werden Hirsche angegangen, bei Schnee auch die Sauen. Es wird prinzipiell nicht ins Rudel geschossen. Nach dem Schuss warten die Jäger nicht nur die übliche Zigarettenlänge ab, sondern 20 bis 25 Minuten. So stellt das Wild keine Verbindung zwischen Schuss und Jäger her. Großer Wert wird auf die Wahrung jagdlicher Tradition gelegt: Jedes Stück erhält den letzten Bissen, der Schütze einen Erlegerbruch. Jedes Stück Wild – auch weibliches – wird verblasen. 200 Hektar des Reviers sind Totalreservat, auf mindestens 400 Hektar findet keine Jagdausübung statt. Jürgen Sartori, seine Frau und die zwei fest angestellten Berufsjäger gehen jeden Tag zur Jagd– getreu dem Motto auf dem Balken über der Eingangstür des Forsthauses: „Ein Tag ohne Jagd ist ein verlorener Tag.“
Auf diese Weise erlegen sie im Schnitt 80 bis 100 Sauen im Jahr (Spitzenergebnis 130), 50 Stück Rotwild, 70 Stück Damwild und 25 Muffel. Vom eher seltenen Rehwild fallen nur 50. So weit, so gut. Doch, Herr Sartori, es soll vereinzelt Leser geben, die keine 1800-Hektar-Eigenjagd ihr Eigen nennen – was nehmen die von dieser Geschichte mit? „Dass man was machen muss“, antwortet Sartori. „Viele Jäger mit einem 75-Hektar-Pirschbezirk im Forst jammern und klagen, dass sie kein Wild sehen. Wie viele dieser Leute haben schon einmal für 50 Euro Hasenapotheke gekauft und ausgesät? Nur Samstag und Sonntag das Gewehr spazieren zu tragen, reicht nicht aus.“
Text: Stephan Elison
kurz und knapp : …. Hut ab ……. !!!.
wohl dem ,der es Kann….. und auch tut …. !!
an die Redaktion : …… bei euch ist wohl noch SOMMERZEIT, oder schon wieder…. !?! meine Beítrag habe ich um !5.13 Uhr abgesendet …. !! Jetzt ist es 15.16 Uhr.
Lass dir dein Geld zurückgeben…
…… t y p i s c h …. !!!
Gratulation an die Berufsjäger und Familie Sartori – wirklich großartig, was dort geleistet wird. Einzig der Punkt der schwarzen Null dürfte bei Forstunternehmern nicht gerade Begeisterungsstürme auslösen. Aus Sicht des Waidmanns allerdings: Hut ab!
Hallo. Ich habe seinerzeit diesen Bericht auch in der Jagdzeitung gelesen. Ich weiß nur nicht mehr, in welcher.
Gibt es heute noch die Möglichkeit, das Revier zu besichtigen?
Ich bin mit meinem Jagdpartner seit 1992 ebenfalls in der Schorfheide jagdlich tätig. Nur schießt man uns “rundum” alles
an Wild, was nur zu bekommen ist. Wir sind leider an fast allen Grenzen des Reviers mit dem Landesforst in “Konfrontation”
DIeses Revier liegt in der Nähe. Ich denke, kaum 10 km entfernt. (Groß Dölln)
Ist das mal machbar?
Gruß und WMH Hermann Brüggelambert
Herr Satori dreht den Spieß um, der Wald gehört dem Wild. Daraus schließen wir
Dass er dem Menschen nicht gehört .
Sehr nachdemkenswerte Anregung.
Auch ist es zu begrüßen, dass die Jagdliche
Tradition erhalten und gepflegt wird,
Denn schließlich gehört sie zu unserem
Kulturgut.
Wmh an Herrn Saturi
Ein Lehrstück für die heutigen Förster, die doch so viel von “Ökologie” faseln, von den Zusammenhängen im Naturhaushalt aber wohl wenig verstehen.